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Lehrergesundheit und Stressmanagement: Balanceakt im Schulalltag

Mein Name ist Linda Hagebölling und ich bin seit zwölf Jahren im Lehramt an Gymnasien im In- und Ausland, innerhalb und außerhalb des “Systems” tätig. In den letzten zehn Jahren habe ich mich zudem kontinuierlich in verschiedenen Bereichen, einschließlich Yoga, Ayurveda, Betrieblichem Gesundheitsmanagement (BGM) und Coaching, weitergebildet. Gemeinsam mit der wunderbaren Barbara Schagerl habe ich 2023 den ersten deutschsprachigen Onlinekongress zur Lehrergesundheit ins Leben gerufen. Du siehst, Lehrergesundheit ist für mich nicht nur ein Thema – es ist meine Leidenschaft, mein Herzensthema. 

Wenn wir von Lehrergesundheit sprechen, dann kommen wir an dem Thema “Stress” nicht vorbei. Deswegen werfen wir im Rahmen dieses Blog Beitrages einen Blick auf den Begriff, auf Stress im Kontext Schule und lassen den ein oder anderen Tipp zum Thema Stressmanagement anklingen, damit du - und ich - in Balance durch unseren herausfordernden Lehrer*innenalltag kommen. 

Los geht’s.

 

Stress, was ist das?

Worum geht es überhaupt, wenn wir von Stress sprechen? Stress ist ein Begriff, der heute in unser aller Alltag und besonders im Schulalltag allgegenwärtig ist. Wir sind ständig ‚im Stress‘ oder ‚haben so viel Stress‘.

Hans Seyle, Mediziner und Stressforscher, definierte bereits in den 1930er Jahren  Stress als die körperliche Reaktion auf jede Form von Beanspruchung. Unser Körper bewertet Reize, auch Stressoren genannt, und reagiert darauf individuell. Doch dieser Prozess ist komplex, und heutzutage sind Stressoren vorwiegend psychischer Natur, was zu einem Spannungsfeld in der Stressbewältigung führt. Ingrid Strobel, deren Veröffentlichung ‚Stressbewältigung und Burnoutprävention‘ eine der Quellen für diesen Blogbeitrag bildet, sagt zum Thema moderner Stress Folgendes: „Der moderne Mensch lebt in der latenten Konfrontation unterschiedlichster Stressoren. Das Gehirn empfindet Alltagsstress und die damit verbundene körperliche Anspannung als normal. Wir haben eine Stressblindheit entwickelt.” Kein Wunder also, dass wir uns ständig gestresst fühlen, oder?

Dein persönliches Stressmangement

Die Bewertung unserer Stressoren hängt eng mit unseren Gedanken, Emotionen und Gefühlen zusammen. Ein Schlüssel zum persönlichen Stressmanagement liegt darin, nicht nur die negativen, sondern auch die positiven Emotionen, die wir über den Tag hinweg erleben, bewusst wahrzunehmen. Unser Gehirn, das darauf ausgelegt ist, erst einmal das Negative als potentielle ‚Gefahr’ zu sehen und in Erinnerung zu behalten, braucht für dieses Vorhaben ein wenig Unterstützung von uns. 

Eine effektive Übung hierfür ist der Positive Tagesabschluss aus der Positiven Psychologie. Diese Methode ermöglicht es, den Tag mit Abstand zu betrachten, positive Momente zu reflektieren und den eigenen proaktiven Beitrag in diesen Momenten zu erkennen. Gerade für uns Lehrer*innen kann diese Übung ein wertvolles Mittel sein, um positive Erlebnisse bewusst zu verankern und so dem alltäglichen Stress zu begegnen bzw. ihn in einem anderen Licht zu sehen und das Positive im Schulalltags-Dschungel nicht aus den Augen zu verlieren. Die Übung dauert nicht lange, du brauchst nur ein Tagebuch - oder auch dein Handy und ein klein wenig Zeit am Ende deines Tages. Damit du sie auch wirklich möglichst täglich machst und so jeden Tag zu deinen Tages-Juwelen findest, ist es ratsam, das Dankbarkeitstagebuch neben dein Bett zu legen. So kannst du direkt mit den schönen Momenten des Tages in die Träume gleiten. 

Stress im Schulalltag 

Dass es gar nicht so leicht zu fallen scheint, die positiven Momente im Lehrer*innenalltag nicht aus den Augen zu verlieren und vor allem am Ende des Tages das stark aktivierte Nervensystem wieder in einen Zustand der Entspannung zu überführen, zeigt ein Blick in die zahlreichen Studien, die in den letzten Jahren zum Thema Lehrergesundheit gemacht wurden. Diese zeigen, so Bärbel Wesselborg, dass 10 bis 30 Prozent der Lehrkräfte unter Erschöpfungssymptomen leiden. Kein Wunder eigentlich, denn Lehrerinnen und Lehrer stehen vor vielfältigen Stressoren, sei es im Schulalltag oder darüber hinaus. Lärm, ständige Interaktion und Erreichbarkeit, Korrekturen, Vor- und Nachbereitungen, Elterngespräche, Auseinandersetzungen mit Kolleg*innen oder den Vorgesetzten und der festgelegte Stundenplan sind nur einige Beispiele. Die Herausforderung besteht darin, die über den Tag aufgebaute Stressenergie bewusst abzubauen und in einen Zustand der Entspannung zu finden. Akuter und chronischer Stress können sich nämlich sonst negativ auf das Herz-Kreislaufsystem, die Immunabwehr, das zentrale Nervensystem, die Muskeln und eben auch die Psyche auswirken und so zu den 10 bis 30 Prozent der Kolleg*innen führen, die unter Erschöpfungssymptomen leiden.

Stress, unser Feind?

Doch ist Stress wirklich nur der Bösewicht? Wie alles im Leben ist er das natürlich nicht, denn auch Stress hat eine zweite Seite. Die positive Seite von Stress liegt darin, dass er unsere Leistungsfähigkeit ankurbeln und unsere Kreativität beflügeln kann, wenn wir ihm mit der richtigen Einstellung begegnen. Zudem kann man Stress auch ganz neutral betrachten. Unser Leben ist voller Herausforderungen. Wenn unser Körper, laut Herrn Seyle, auf jede Beanspruchung mit dem reagiert, was wir als “Stress” bezeichnen, dann sind wir natürlich immer wieder über den Tag hinweg “im Stress”. Die Sichtweise auf Stress beeinflusst also unsere Gesundheit, Zufriedenheit und Erfolg. Die Bewertung von Stress ist eine Frage des Mindsets. Es ist entscheidend, sich bewusst für ein positives Stress-Mindset zu öffnen. Dies kann dazu beitragen, Stress als förderlich für die Leistung und Produktivität zu betrachten. Eine Selbstreflexion darüber, welchem Stress-Mindset man angehört, ist ein erster Schritt zur besseren Stressbewältigung. Deswegen möchte ich dich einladen, kurz innezuhalten und dich selbst zu fragen, ob du dem Mindset 1: Stress zehrt an meiner Gesundheit und meiner Lebensfreude. Stress verringert meine Leistung und schränkt meine Produktivität ein. Stress verhindert, dass ich lerne und wachse. Stress hat negative Folgen und sollte vermieden werden.

oder dem Mindset 2: Stress erhöht meine Leistung und steigert meine Produktivität. Stress verbessert meine Gesundheit und steigert meine Lebensfreude. Durch Stresserfahrungen kann ich besser lernen und wachsen. Stress hat positive Folgen, die man sich zunutze machen sollte. (Übung nach: Kelly McGongial “Glücksfaktor Stress - Warum Stress uns erfolgreich und gesund macht, Stuttgart 2018.)

 

Wege zur individuellen Stressbewältigung

Die individuelle Stressbewältigung erfordert die Identifikation der eigenen Stressoren und die Erkundung persönlicher Ressourcen zur Stressbewältigung. Stressbewältigungsmechanismen wie einfache Atemübungen aus dem Yoga, das bewusste Spüren der Füße während des Gehens oder Treppensteigens, Bewegung an der frischen Luft, das Zusammenstellen eines Gute-Laune-Päckchens für den Schulalltag (dein Lieblings ätherisches Öl als Roller, eine schöne Postkarte aus dem letzten Urlaub, deine Lieblingstasse auf dem Schreibtisch im Lehrerzimmer usw.) , das Verwenden von Anti-Stress-Sätzen wie “Ich habe für alles genug Zeit.” und der Positive Tagesabschluss, können gezielt auch im Lehrer*innenalltag - bisweilen sogar in der Schule und im Unterricht (gerne auch mit den Schüler*innen) - angewendet werden.

Die Auseinandersetzung mit der Lehrergesundheit und dem Stressmanagement bietet nicht nur die Möglichkeit, den Lehrerberuf als Herausforderung, sondern auch als Chance zur persönlichen Entwicklung zu sehen. Eine bewusste Stressbewältigung und ein positives Stress-Mindset sind nicht nur für Lehrer*innen selbst, sondern auch für das gesamte System Schule von entscheidender Bedeutung. Unsere heutige Zeit braucht diese Art der Auseinandersetzung, um die jetzige Generation Schüler*innen und nachfolgende von tatkräftigen und gesunden Lehrer*innen in eine gelingende Zukunft begleitet zu wissen. Aus meinem eigenen Lehrerinnenalltag kann ich inzwischen aus vollster Überzeugung sagen: Zielstrebig, mit Humor und einer Portion Gelassenheit und Achtsamkeit gelingt der Balanceakt zwischen Lehren und dem eigenen Wohlbefinden.